Article:
Walz, A., Gloor, C., Allgöwer, B., Bebi, P., Fischlin, A., Lange, E. & Nagel, K., 2008 (in press). Virtuelle Welten - Reale Entscheide? Die Alpen im Modellbaukasten. NFP48 Synthese V. Verlag der Fachvereine: Zurich, Switzerland, 125 pp.
Summary (here given only in original German, see below a link for an English full text):
Die Synthese V des Nationalen Forschungsprogramms NFP48 „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ widmet sich der computergestützten Modellierung, der Simulation und der Visualisierung von Landschaften und landschaftsverändernden Prozessen.
Echte Landschaften sind „träge“. Echte Landschaftsveränderungen sind in den meisten Fällen unwiederbringlich und sie bieten keinen Raum für Experimente. Da liegt es nahe, Entwicklungsoptionen und Entscheidungsalternativen in einer „Virtuellen Welt“ zu prüfen, bevor endgültige Entscheide getroffen werden. Computergestützte Modelle erlauben, ausgewählte Mechanismen unserer Realität in dieser „Virtuelle Welt“ zu testen, und der Visualisierung gelingt es, diese uns „Virtuelle Welt“ intuitiv verständlich zu kommunizieren. Deswegen gewinnt die virtuelle Repräsentation von Landschaftsprozessen immer mehr Bedeutung für die Planung.
Das Hauptziel der Synthese V war es daher, das Potenzial computergestützter Modelle und Visualisierung für die Raum- und Landschaftsplanung und den Beitrag des NFP48 dazu aufzuzeigen.
Die vorgestellten Erkenntnisse umfassen dabei nicht allein die direkte Erfahrung aus der NFP48-Forschung im Sinne einer Synthese (Teil 1), sondern geben auch einen erweiterten Ausblick zur verbesserten Etablierung von Modellen in der Planungspraxis (Teil 2) und schlagen eine Methode zur verbesserten Entwicklung von Modellen für die Praxis vor (Teil 3).
Die analysierten Modelle weisen eine hohe inhaltliche und methodische Komplementaritaet auf, sodass ein grosses Potenzial in ihrer Verknüpfung zu finden ist. Da die Modelle keiner systematischen Auswahl entsprechen, ergibt sich allerdings nicht ein kohaerentes Gesamtergebnis. Die Modelle des NFP48 gehen auf die wichtigsten Themenkomplexe der Raumund Landschaftsplanung in den Alpen ein. Dazu zaehlen Mechanismen und Folgen von Landschaftsveraenderungen durch sich wandelnde landwirtschaftliche Nutzungsmuster und intensive, oftmals Tourismus bedingte Siedlungsentwicklung, sowie ein veraendertes Naturgefahrenpotenzial durch eine Klimaerwaermung.
Die NFP48-Forschung deckt ausserdem unterschiedliche funktionale Ausrichtungen von Modelle ab. Waehrend die Funktion von Modellen in der Forschung vorzugsweise in der erklaerenden Analyse von Systemen liegt, wurden im Rahmen des NFP48 auch Simulationsmodelle, Bewertungsansaetze und Visualisierungstechniken entwickelt, wie sie im Rahmen von Planungsprozessen sinnvoll eingesetzt werden koennen. Die verschiedenen Werkzeuge koennen, müssen allerdings nicht immer kombiniert werden. Um den Anforderungen wissenschaftlicher Forschung gerecht zu werden, treten im Rahmen dieser Projekte typischerweise methodische oder technische Detailfragen in den Vordergrund, zu deren Beantwortung zahlreiche Faktoren und Faktorenkombinationen getestet werden. Die erarbeiteten Erkenntnisse koennen dabei für die Praxis von grosser Relevanz sein, denn die Modelle selbst stellen Prototypen dar, die in einzelnen Fallstudien entwickelt und getestet wurden.
Deswegen eignen sich die Modelle selbst nur bedingt als Werkzeuge in der Planung. Viele dieser Modelle sprechen zwar die Vielschichtigkeit der Raumund Landschaftsentwicklung an, adaequate Werkzeuge sollten für die Planungspraxis aber vorzugsweise wohl definierte und immer wieder auftretende Fragen der Regional- und Landschaftsplanung abbilden. Ausserdem sind die Modelle bzw. die entsprechende Software oftmals nicht ausreichend professionell programmiert und dokumentiert. Das heisst, dass sie die erforderlichen Standards hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit, Stabilitaet und Rechengeschwindigkeit, sowie Dokumentation technischer Details und oftmals impliziter Annahmen, die zur Interpretation der Simulationsergebnisse und zur Adaption der Modelle in einem anderen Anwendungsfall notwendig waeren, nicht erfüllen.
Die Modelle und Visualisierungen werden dabei als wichtiges Hilfsmittel in der Planung verstanden. Die Bedeutung von Modellen wird in Zukunft mit zunehmender Komplexität der Planungsfragen und zunehmendem Druck nach entsprechenden Entscheidungsgrundlagen wahrscheinlich wachsen. Den politischen Prozess einer Entscheidungsfindung können sie durch zusätzliche Information unterstu?tzen. Visualisierung wird dagegen vorwiegend als Kommunikationsmittel eingesetzt. Sie kann einzelne Eingriffe in die Landschaft und vor allem auch schleichende Entwicklungen, wie zum Beispiel der allmähliche Verlust von Kulturland, in eine intuitiv begreifbare Form bringen.
Technische Probleme wie Datenverfügbarkeit und -qualitaet, aber auch die Schnittstellen zwischen Software-Pakten sind neben mangelnder Erfahrung im Umgang mit Modellen die wichtigsten Gründe für die geringe Etablierung von Modellen in der Planungspraxis.
Verfolgt man die Entwicklung seit den 1990ern, ist im Bereich der Datenverfügbarkeit und -qualitaet mit einer relativ schnellen Verbesserung der Situation zu rechnen. Die insgesamt recht gute Datenlage in der Schweiz koennte insbesondere durch die gezielte Verknüpfung existierender Datensaetze für Planungsaufgaben weiter verbessert werden. Zur Bewaeltigung dieser Schnittstellenproblematik konnten Projekte des NFP48 Loesungsbeitraege hinsichtlich der Integration unterschiedlicher Software-Umgebungen als auch unterschiedlicher Modelle liefern.
Modelle, die ganz gezielt wohl definierte Planungsfragen ansprechen, koennen technisch so optimiert werden, dass sie als Werkzeuge für die Praxis dienen koennen. Modellierung kann aber auch als Methode zur Strukturierung eines eher unübersichtlichen Problems eingesetzt werden. In diesem Fall steht dabei nicht das Modell als Werkzeug, sondern vielmehr der Prozess der Modellierung und des damit verbundenen (oftmals kollektiven) Lernprozesses im Vordergrund. Entsprechende, meist partizipative Methoden wurden hierzu in der Forschung entwickelt und im Rahmen von Fallstudien eingesetzt. Oftmals handelt es sich dabei um zunaechst qualitative Ansaetze, die zu einzelnen klar abgegrenzten Teilfragen auf numerische Modelle zurückgreifen. Schliesslich kann eine Modellierung auch in der Planungspraxis zur Analyse selbst erhobener Daten – aehnlich wie in der Forschung – eine wertvolle Methode sein. Auch in diesem Fall steht der Prozess der Modellierung im Vordergrund.
Aufwand und Mehrgewinn durch den Einsatz von Modellen und Visualisierungen müssen natürlich in einem sinnvollen Verhaeltnis stehen. Da viele Visualisierungswerkzeuge (z.B. Visual Nature Studio, Simmetry 3d, LandXplorer oder auch ArcGIS 3D Analyst) inzwischen recht komfortabel funktionieren, werden Visualisierungen heute bereits in zunehmendem Masse in der Planung eingesetzt (2005). Neben der computerbasierten Ueberarbeitung von Photographien wird dabei inzwischen auch vielfach auf hochwertige 3DVisualisierungen zurückgegriffen. Aufgrund technischer Probleme und mangelnder Erfahrung mit Modellen, bedeutet der Einsatz von Modellen dagegen heute oftmals noch einen recht grossen Aufwand für die Planungspraxis. Aus diesem Grund wird sich der Einsatz von Modellen in der naeheren Zukunft zunaechst hoechstwahrscheinlich noch auf grosse Planungsprojekte konzentrieren. Die SAWIRIS-Plaene in Andermatt, die Hafencity Flüelen, der Gotthard- Basis-Tunnel, die Porta Alpina oder auch die Vergroesserung des Grimsel- Stausees sind Projekte mit vielschichtiger Wirkung auf die betroffenen Regionen und ihre Landschaft. Im Rahmen derartiger Grossprojekte koennen Modelle heute bereits sinnvoll und gewinnbringend eingesetzt werden. In diesen Projekten koennte zum Beispiel eine partizipative, qualitative Modellierung ein hilfreicher Schritt im Planungsprozess darstellen, waehrenddem für Einzelfragen auf numerische, als Werkzeug aufgearbeitete Modelle, zurückgegriffen wird.
Neben der Berechnung von Informationsgrundlagen in Entscheidungsprozessen stellt die wirklichkeitsnahe Visualisierung ein wichtiges Hilfsmittel in der Planung dar. Sie hat insbesondere in der Kommunikation von zukünftig zu erwartenden, teilweise nur schleichend voranschreitenden Veraenderungen einen hohen Stellenwert. Die realitaetsnahe 3D-Visualisierung stellt ein wichtiges Hilfsmittel dar, um die Ergebnisse komplexer Landschaftssimulation anschaulich und eindrücklich zu kommunizieren. Dies gilt insbesondere für die Oeffentlichkeitsarbeit, je nach Fragestellung kann sie aber auch die visuelle Vorstellungskraft der Fachleute sinnvoll unterstützen. Die Nutzung von serioes dokumentierten und kommunizierten Modellen zur Abschaetzung eines zukünftigen Landschaftsbildes kann die Gefahr des Missbrauchs dieses wirkungsvollen Kommunikationsmittels moeglicherweise reduzieren.
Die mangelnde Erfahrung der Planungspraxis im Umgang mit Modellen, die vor allem als Kommunikationsproblem zwischen Landschaftsforschung und Raumund Landschaftsplanung verstanden wird, kann mittelfristig über eine verbesserte Zusammenarbeiten zwischen Praxis und Wissenschaft erreicht werden. Ueber Qualifikationsarbeiten wie Diplom- und Doktorarbeiten im Rahmen aktueller Planungsprojekte wird der KnowHow-Transfer verbessert und die entsprechenden Fachleute ausgebildet.
Wir schlagen ausserdem die Ausarbeitung eines umfassenden Leitfadens zum Einsatz von Modellen in der Planung in der Art eines Bestimmungsschlüssels vor. Dieser Leitfaden soll dazu beitragen, dass sich interessierte Planer mit den Moeglichkeiten und Methoden, Modellierung und Visualisierung in die Planungspraxis gewinnbringend zu integrieren, besser vertraut machen.
Bei der Formulierung von Use Cases werden umfangreiche Anwendungen detailliert in kleinste Aktionsschritte aufgegliedert, um so schrittweise massgeschneiderte Software-Spezifkationen formulieren zu koennen für die anschliessende Implementation. Damit kann zum einen dem Kommunikationsaspekt Rechnung getragen werden, zum anderen kann aber auch die technische Umsetzbarkeit der formulierten Anforderungen geprüft werden. Anhand eines „didaktischen“ Beispiels wird die Anpassung eines der NFP48- Modelle auf eine hypothetische Planungsfrage im Detail veranschaulicht. Am Beispiel des geplanten Schatzalpturms in Davos wird demonstriert, wie eine komplexe und verschachtelte Fragestellung in wohl definierte Teilaspekte aufgegliedert werden kann, die denen eine Simulation hilfreiche Information beisteuern kann. Gleichzeitig dokumentiert dieses Beispiel auch den zeitlichen Aufwand, der noetig ist, um Modelle, die in einer Fallstudie entwickelt wurden, auf eine andere Region oder leicht veraenderte Fragestellung zu übertragen. Damit wird auch die technische Herausforderung deutlich, überhaupt Modelle mit grosser und komfortabler Uebertragbarkeit zu entwickeln.
Weitere Beispiele aus der NFP48-Forschung und ihr hypothetischer Einsatz in der Planung zeigen anhand derartiger Use Cases auf, welchen Beitrag einzelne Modelle für die Planung haben koennten. Dazu werden typische Planungssituationen dargestellt, in denen diese Modelle oder einzelne Aspekte dieser Modelle zum Einsatz kommen. Die ausgewaehlten Use Cases umfassen oekologische Fragestellungen mit Relevanz für das Landschaftsbild (Beispiel: Migrationsmuster von Laerchenwicklern), Aspekte der Ortsplanung (Beispiel: Aenderung in der Zonenplanung). Ebenso wird aufgezeigt, wie aus all den vorgestellten NFP48 Modellierungen mit Hilfe eines Use Cases ein neues Modell der Landwirtschaftsfoerderung generiert werden kann.
Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass die NFP48-Forschung wichtige Herausforderungen der aktuellen Raum- und Landschaftsplanung in den Alpen zu grossen Teilen abdecken, dass jedoch die technische Umsetzung den Anforderungen der Planungspraxis (meistens noch) nicht entsprechen.
Full text (German) 34.5 MB
Full text (English) 39.4 MB