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ProClim- Flash November 2000

Editorial

Von der grünen Sau und dem schwarzen Gold

von Andreas Fischlin

Kürzlich an einer wissenschaftlichen Tagung verglich ein Vortragender die Biosphäre mit einer kohlenstoffverarbeitenden Sau, die riesige Mengen an Nahrung, sprich Kohlenstoff in Form von CO2, aus der Luft zu sich nimmt und auch dementsprechend viele Ausscheidungen, sprich Kohlenstoff in Form von CO2, wieder in die Luft abgibt. Es ging dem Redner um die Bedeutung, die man dieser Kohlenstoffsau zurzeit beimisst, oder manche meinen, andichtet. Es werden zurzeit ja Vorstellungen herumgeboten, dass mittels der sog. Senken ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung der Klimaerwärmung zu leisten wäre. Die Sau wird dabei als grün angesehen, d.h. ihr werden dank ihrem Appettit auf C umweltverbessernde Eigenschaften zugeschrieben und da die Mästung der Sau ja bloss eine Verstärkung "natürlicher" Prozesse darstelle, sprich verstärktem Wachstum eines Waldes entspricht, wird ihr noch einmal grösste Umweltfreundlichkeit nachgesagt. Eine Senke ist demnach eine Gewichtszunahme der Kohlenstoffsau und z.B. in Mt C/Jahr zu messen. Hierbei ist natürlich entscheidend, dass die photosynthetisierende Sau den Kohlenstoff der Atmsophäre nicht nur vorübergehend entnommen hat,sondern ihre gewonnene Fettleibigkeit auch beibehält. Allein dadurch lässt sich erhoffen, dass die atmosphärischen CO2-Konzentrationen eher stabilisiert werden könnten und damit eine allfällig starke Klimaänderung verhindert werden könnte. Wie dick oder dünn die Sau eigentlich ist, interessiert in den meisten Fällen ja kein Schwein.
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Warum eigentlich ist das Gewicht der Kohlenstoffsau überhaupt so wichtig geworden? Das mag die eine oder andere Wissenschaftlerin erstaunen. Ich meinte, wir Wissenschaftler haben in der Vergangenheit die Bedeutung der Senken eher unterschätzt. Wir hatten dazu eigentlich gute Gründe. Denn für eine Stabilisierung der atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen ist eine derart starke Reduktion der Treibhausgasemissionen erforderlich, dass demgegenüber das Potential der Senken im forst- und landwirtschaftlichen Bereich eher als vergleichsweise schäbig zu bezeichnen ist. Zudem ist klar, dass Senken wegen Sättigungserscheinungen schon bald, d.h. in wenigen Jahrzehnten, erschöpft und wirkungslos sein werden. Jedoch in Anbetracht der eher geringfügigen Reduktionsverpflichtungen, die sich aus dem Kyoto Protokoll für die erste Verpflichtungsperiode (2008-2012) ergeben, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Insgesamt sind dies für die Industriestaaten 5.2% der Bruttoemissionen gemäss Stand 1990, was bei einer Stabilisierung des Verbrauchs an fossilen Brennstoffen zwischen 1990 und 2008 etwa 195 Mt C/Jahr entspricht. Das maximal ausschöpfbare Potential der Senken wurde durch den Spezialbericht des IPCC für die gleiche Periode auf fette 1'020 Mt C/Jahr geschätzt. Selbst wenn wir bis zur ersten Verpflichtungsperiode noch Wachstum des Energieverbrauchs annehmen, z.B. 8% bis 2010, sind die Reduktionsverpflichtungen "bloss" ca. 500 Mt C/Jahr. (Übrigens, die zurzeit von der Schweiz emittierte Treibhausgasmenge beträgt brutto ~14.7 Mt Ceq/Jahr.) Die eigentlich mageren Senken sehen auf einmal sehr fett aus!

Das Kyoto Protokoll sieht vor, dass Senken bei der Erfüllung der Reduktionsverpflichtungen angerechnet werden dürfen. Eine Emission an fossilen Brennstoffen kann demnach über eine gleichgrosse Senke, z.B. einen wachsenden, entsprechend grossen Wald, völlig neutralisiert werden. Zudem darf, falls die Senke grösser als die Reduktionsverpflichtung ausfallen sollte, mit dem Reduktionsüberschuss gehandelt werden. Der Kohlenstoff wird gar zu Gold. Mit diesen Regelungen wird erhofft, Zeit und zusätzliche Flexibilität beim Übergang auf eine energiesparende, weniger CO2 emittierende Zivilisation zu gewinnen. Bei Senken-Projekten im Rahmen des CDM (Clean Development Mechanism) ist Schweinchen mästen angesagt. Nach Beendigung des Projektes, wird das Gewicht des Schweinchens u.U. nicht mehr beachtet. Z.B. könnte Waldbrandbekämpfung oder Insektenbekämpfung mit dem Projektende ebenfalls zu Ende gehen. Dem eigenen Schicksal überlassen, kann ein Wald das über das natürliche Mass hinaus gebundene C nicht mehr halten und ein nicht vernachlässigbarer Teil des C, der in diesem Schweinchen als festgebunden gegolten hat, verflüchtigte sich wieder zurück in die Atmosphäre.

Man mag sich nun fragen, ob Senken nun wirklich als brauchbaren Zeitgewinn einzustufen sind und ob deren Behandlung wissenschaftlich wirklich unproblematisch ist? Ich meine, leider beide Fragen mit Nein beantworten zu müssen. Das Maximalgewicht der Kohlenstoffsau dürfte in den nächsten Jahrzehnten noch anwachsen, um dann erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrhunderts ein nicht mehr weiter zu steigerndes Plateau zu erreichen. Man wäre also geneigt, die erste Frage mit Ja zu beantworten. Jedoch stellt sich die Anschlussfrage, ob bei der sich jetzt abzeichnenden Ausgestaltung des Kyoto Protokolls gewisse Senken nicht zu Unrecht in Anspruch genommen werden können – Senken, die schon bislang wirksam waren. Dies ermöglichte es sogar, im Vergleich zur Situation ohne Kyoto Protokoll, die Nettoemissionen gar zu steigern. Eine aus wissenschaftlichem Verständnis des globalen Kohlenstoffkreislaufes fatale Umsetzung des Kyoto Protokolls. Sie wäre mit Bestimmheit mit den Zielen der Klimakonvention nicht in Übereinklang zu bringen. Es würde nicht Zeit gewonnen, sondern die Klimaänderung würde gar beschleunigt!

Ist Kohlenstoff also wirklich so golden, wie er zurzeit für viele glänzt? Wohl kaum, doch ganz verblassen wird der Glanz nicht. Wenn die Kyoto Protokoll Verhandlungen erfolgreich zu einem Abschluss gelangen sollten, wird senkengebundener Kohlenstoff einen bedeutenden Handelswert erhalten, auch wenn er nicht gleich mit Gold aufgewogen wird. Für unsere Land- und Forstwirtschaft bedeutet dies mit Bestimmtheit eine neue Herausforderung, der sie sich, schneller als viele meinen, zu stellen haben werden. Was den langfristigen Beitrag zur Stabilisierung der Treibhausgase in der Atmosphäre anbetrifft, stellte sich für die übrige Wirtschaft und unsere ganze Gesellschaft aber eine noch weit grössere Herausforderung: Nicht nur die Stabilisierung, sondern auch die Reduktion der Treibhausgasemissionen ist angesagt. Uns, unserem Planeten und last but not least unseren Kindern und Kindeskindern zuliebe.




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